Durres - Hafenstadt mit römischer Ruine

Fotos-Reiner Delau, d&b.o., Albanienreise
// Das römische Amphitheater - Wahrzeichen der Küstenstadt

Touristenhochburg an der Adria

Herr P. wollte seine Ruhe haben. Er war im römischen Amphitheater herumgekrochen. Dunkle Gänge, altes Gemäuer, ausgeführt mit den flachen römischen Steinen. Eine kleine Kapelle mit Mosaiken. Unkraut spross aus den Tribünen. Und in der Mitte des Amphitheaters blühten Blumen und wucherte Gras. Auf dem Hügel über dem Amphirund stach ein Minarett in die Höhe. Helle Häuser stießen ans Rund. Gelegentlich schwappten Huptöne aus dem Stadtzentrum herüber. Sonst war es ziemlich still.


Herr P. war der einzige, der das Amphitheater besuchte. Es war erst in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ausgegraben worden. Was man wusste, wurde großartig bestätigt. Durres, 627 vor Christi von dorischen Siedlern angelegt, war für die Römer ein wichtiger Ort. Von hier aus ging die Via Egnatia nach Byzanz. Später kamen die Venetier, Osmanen, Türken, Italiener.
Das Restaurant, das Herr P. betrat, war voller Menschen. Auf dem Fernsehschirm rollte der Fußball. Albanien spielte gegen Ungarn. Alle Plätze waren besetzt. Er zog sich an einen Stehtisch in die äußerste Ecke zurück. Er wollte etwas essen, ein Bier trinken und schweigen, Bilder beschauen, die ihm der Tag geschenkt hatte: den Anblick der großen Bucht, sonnenüberflutet, türkis schimmernd, die Hügel über der Stadt, die mittelalterliche Mauer. Aber daraus wurde nichts.

Einige beobachtete ihn. Er war mit Sicherheit der einzige Ausländer im Restaurant. Er bestellte Lammkotelett und Weißbrot, Oliven, Käse und Bier. Als er das Glas anhob, nickten ihm einige zu. Und da er nicht unfreundlich wirken wollte, nickte er auch, konzentrierte sich aber sofort wieder auf seine Speisen. Am späten Nachmittag war er in einem Taxi ein Stück an der Adria langgefahren. Mato, der liebe aufmerksame Mato, hatte ihn gewarnt. „Sie werden entsetzt sein. Kilometerlange Strände, vollgepflastert mit Hotels, Villen, Bungalows. Meist ohne jeden Plan hingesetzt. Hässlich. Ein Großteil ist illegal erbaut worden. Bestechungen haben  geholfen. Am Rande der Stadt wohnen die Albaner, die aus dem armen Norden kamen. Der Zustrom in die großen Städte hält an.“ In der Tat: Es war grausam, was am Ufer der Adria entstanden ist. Häuser wie Silos. Sehr dicht aneinander gereiht. Müll über Müll. Dass man hier Urlaub macht, wollte Herr P. nicht glauben.

Das Kotelett kam. Es war gut gewürzt. Herr P. hatte Durst. Er trank das Glas aus. Das Weißbrot war schwammig, die schwarzen Oliven köstlich. Ein Mann, an die dreißig Jahre alt, näherte sich ihm. „German“, fragte er, „Deutscher?“ Herr P. kam nicht umhin, dies zu bestätigen. Der Albaner war zufrieden, dass er richtig vermutet hatte. „Was führt sie nach Durres?“ Herr P. antwortete knapp, hoffte, dass der Mann bemerkte, dass er nicht sonderlich zum Reden aufgelegt war. Er wollte das Kotelett genießen, die Oliven, das Bier, den kräftigen Käse. Ohne, dass er es gewünscht hatte, wurde ihm Glas Bier auf den Tisch gestellt. „Prost“, sagte der Albaner. „Ich war ein Jahr in Deutschland, in Sindelfingen. Danach musste ich wieder zurückkehren. Man wollte mich nicht. Es ist schwierig. Für Deutschland gibt uns kein Arbeitsvisum.“
Sein Deutsch war erstaunlich gut. Er sagte es. Und der Mann fühlte sich gelobt. „Freut mich sehr.“ Herr P. bemerkte, dass zwei Tische weiter ein untersetzter mittelgroßer Mann angestrengt zuhörte. Er reckte seinen Hals, schien auf jedes Wort zu achten. Herr P. aß vom Käse, hüllte sich in Schweigen. Den Albaner schien das nicht zu stören: „Früher“, fuhr er fort, „durften wir nicht reisen. Die Kommunisten schnitten uns von aller Welt ab. Wir waren im Osten am schlimmsten dran. Nun dürfen wir reisen, aber man lässt uns nicht herein. Selbst die Griechen sperren uns den Zugang. Man muss illegal über die Grenze.“ Herr P. sah keine Veranlassung, dies zu kommentieren. Als er das Glas hob, sah er wie sich der kleine runde Herr seinem Tisch näherte, stehen blieb und vorstellte, Korvettenkapitän. Auch er sprach Deutsch. Er hatte es in Deutschland gelernt, hatte eine militärische Führungsschule in Hamburg besucht. „In einer Woche bin ich wieder in Hamburg“, sagte er. „Jetzt weht hier ein anderer Wind. Albanien  ist Mitglied der Nato geworden. Als Militär freue ich mich darüber.“
Herr P. begriff, dass es sinnlos war, sich zu sperren. Außerdem begann seine Neugier zu rumoren. Der Korvettenkapitän durfte an die Fünfzig sein. Er dürfte schon zu Hodschas Zeit beim Militär gewesen sein. „War ich“, bestätigte er. „Drei Jahre Ausbildung in Moskau an der Militärakademie.“ Wieder wurde ein Glas Bier auf den Tisch bestellt. Herr P. kam mit dem Trinken nicht nach. „Ich würde Sie gern kennenlernen“, sagte der Korvettenkapitän. Falls Sie noch morgen hier sind, treffen wir uns gegen 20 Uhr hier?“ Er reichte Herrn P. die Hand. Sie war warm und fest. „Man erwartet mich.“ Der Mann gefiel ihm.
Es wurde spät. Albanien hatte gegen die Ungarn verloren. Und Herr P. hatte etwas zu viel Bier getrunken. Als er sein Essen bezahlten wollte, war es schon bezahlt. Langsam kehrte Herr P. in sein Hotel zurück. Es stand nahe am Ufer. Die Adria lag im Dunkel. Ein paar Schiffe ankerten weit draußen, sparsam erleuchtet.
Herr P. erinnert sich gern an den Korvettenkapitän. Er war verheiratet, fuhr einen alten Mercedes Benz. Seine Frau war Ärztin, Allgemeinärztin. Auch sie besaß einen Benz. „Es geht uns sehr gut“, sagte e. wir liegen weit, weit über dem Durchschnitt. Albanien ist ein  armes Land, hohe Arbeitslosigkeit, eine völlig ruinierte Industrie.“ Seine Einheit war der Nato zugeteilt worden. Schiffe und Ausrüstung waren total veraltet, in keiner Weise einem Natoverband genügend. Russischer und chinesischer Uraltbestand. „Damit kann man niemanden das Fürchten lehren. Die Pläne sind abgestimmt. Wir erhalten moderne Waffensysteme. Noch in diesem Jahr. Da sind Millionen fällig.“ Er legte eine kleine Pause ein. Irgendetwas schien ihm Vergnügen zu bereiten.  „Albanien ist ohnehin nicht in der Lage, die Waffen zu bezahlen. Die russischen sind auch nicht bezahl worden. Und als uns die Chinesen gegen Russland aufstacheln wollten, waren sie auch recht großzügig.“

 //   Mit diesen Ein-Mann-Bunkern sollte der Imperialismus abgewehrt werden.                                  //   Beim Schachspiel.


Herr P. hatte auch in Durres diese halbkugelartigen Bunker entdeckt. Einst überzogen sie da ganze Land. Sie boten meist Raum für einen Soldaten, für einen Kämpfer. Auf diese Weise sollten imperialistische Überfällt abgewehrt werden. „Waren Sie von der militärischen Bedeutung dieser Bunker überzeugt?“, fragte Herr P. Der Korvettenkapitän ließ sich mit der Antwort Zeit. Und sie überraschte Herrn P. „Natürlich nicht. Aber irgendwie beruhigten sie. Das wird Ihnen sicher albern vorkommen, nicht wahr? Als junger Mensch war ich zutiefst überzeugt, dass uns der Imperialismus bedroht. Ich schäme mich auch heute nicht deswegen. Er hat uns ja bedroht.uns wie all die anderen Oststaaten. So war das damals.“
   Es war gegen 22 Uhr, als Herr P. und der Fregattenkapitän das Restaurant verließen. Gemeinsam gingen sie ein Stück die Straße entlang. Vom Meer wehte ein kühler Wind. Über dem Hafen rieselte Licht. „Welche Eindrücke haben Sie gewonnen“, fragte der Fregattenkapitän. Und Herr P. antwortete ehrlich. Korrekturen stünden an. Er hatte ein islamisch geprägtes Land erwartet, junge Frauen unter Kopftüchern, überfüllte Moscheen, Bettler, verfallene Straßenzüge, Armut über Armut. Er war beeindruckt, vor allem von Tirana, von den Studenten, von der Gastfreundschaft, von der Neugier. Der Fregattenkapitän schwieg eine Weile. Dann sagte er: „Ich bin mir nicht sicher, ob Albanien im europäischen Gefüge wirklich eine Chance hat. Wenn Sie ins Land hinaus fahren, in die Gebirgsregionen, werden sie feststellen: Wir sind ein bitterarmes Land. Durres, Tirana blenden.“
   Am nächsten Tag fuhr Herr P. nach Tirana zurück. Diesmal mit dem Bus. Eine Autobahn verband die Hauptstadt mit der Hafenstadt. Abends traf er sich mit Mato. Mato war neugierig. Herr P. erzählte vom Fregattenkapitän, von seiner Zustimmung zur Nato. Matos Kommentar fiel sehr kurz aus. „Die Militärs überschätzen die Mitgliedschaft.“ Er glaube nicht, dass Albanien davon profitieren werde. Vielleicht erfahre der Balkan dadurch mehr Stabilität. „Das wäre immerhin etwas.“ Herr P. begleitete Mato zum Auto. Auch er fuhr einen alten Mercedes, der mehr als 20 Jahre alt war. „Wir Albaner haben eine Mercedesmanie. Völlig unverständlich, ja irrational. Aber so sind wir, etwas unberechenbar. Was soll Europa mit uns anfangen?“


// Texte und Fotos: Reinhard Delau.