Roter Himmel über der Ebene von Bagan

Delaus Reiseblog, Myanmar-Reportage
// Schwezigon-Pagode, Baubeginn 1060, buddhistisches Heiligtum

GROßE ASIENREISE:  MYANMAR

2 200 Monumente im größten Tempelfeld der Erde

 

Als die alte Zweipropellermaschine nach einer Stunde und 15 Minuten Flug landete, loderte der Himmel über der Ebene von Bagan. Herr P. hatte auf seiner Reise durch Myanmar, ehemals Burma, bereits viel gesehen, aber dieser Anblick hob ihn auf eine Wolke des Glücks. Er verließ schnell den Kleinbus, winkte ab, ins Hotel zu gehen, bat, sich um seinen Rucksack zu kümmern.


Dann lief er auf einem schmalen, sandigen Weg, den immergrüne Sträucher säumten, dem Hügel entgegen, der in einiger Entfernung vor ihm lag. Er beeilte sich, denn die Sonne war im Untergehen. Etwas atemlos erreichte er die Hügelspitze. Was er sah, war großartig.

Im sinkenden Licht lag die grüne Ebene. Pagodentürme stachen aus ihr heraus. Stupaspitzen überragten Buschwerk und Palmenkronen. Rotbrauner, schwarzer, bernsteinfarbiger Stein leuchtete. Über allem aber schmetterten die goldbekleideten Pagoden. Dutzende, Hunderte niedrige, hohe, sehr hohe Türme stiegen auf, wogten im Grün, als führten sie ein Konzert auf. Zum Teil vom Grün verdeckt, schimmerten die Mauern, hinter Buschwerk verborgen, ruhten ihre steinernen Leiber, von zarten Spitzen gekrönt. Soweit Herr P. schauen konnte, war die Ebene mit den Bauten übersät. Was er sah, war wirklich, aber es wirkte so unwirklich wie ein schäumendes Traumgebilde. Es dauerte, ehe er begriff, dass er das größte Tempelfeld der Erde vor sich hatte.

 


Schnell senkte sich der Feuerball, und als er verschwand, hinterließ er einen taubengrauen Nachklang, der ins Dunkel sank. Herr P. kehrte zum Hotel zurück. Seinen Rucksack hatte man in seinen Bungalow geschafft. Ein freundlicher Junge begleitete ihn. Herr P. bat ihn um einen schwarzen Tee. Später, als Herr P. zu Abend aß, kam sein Reisebegleiter an seinen Tisch und fragte höflich, ob er Platz nehmen dürfe. Der Mann war bescheiden. Herr P. durfte ihm einen Tee anbieten, keinen schwarzen, nein, einen Blütentee. Welch eine Aussicht von dem Hügel auf die Ebene“, sagte Herr P. Und sein Begleiter neigte leicht seinen Oberkörper und lächelte sanft. „In Bagan kann man unsere Seele läuten hören“ sagte er. „Alles, was hier in den Jahrhunderten gebaut wurde, entstand aus Ehrfurcht vor Buddha, entstand in tiefer Gläubigkeit. Wir sind ein Volk, das dem Glauben lebt. Es dürfte wohl keine einzige Familie in Myanmar geben, die nicht für den Erhalt der Heiligtümer gespendet hat.“ Und nach einer Weile fügte er leise hinzu: „Die Generale, die das Land regieren, lassen sich gern an den alten Stätten fotografieren, um so ihre Zugehörigkeit zum Land zu betonen. Aber sie tun wenig für die Heiligtümer. Aber sie tun auch nichts gegen sie.“ Er verabschiedete sich und ging leicht nach vorn gebeugt davon.


Herr P. hatte gut geschlafen. Der Blick aus dem Fenster enttäuschte ihn. Der Himmel war grau verhangen. Es fielen sogar ein paar Regentropfen. Der kurze Weg zum Haupthaus des Hotels genügte, um ihn in erwartungsvolle Stimmung zu versetzten. Sein Begleiter hatte ihm gestern versprochen, einige buddhistische Heiligtümer, Stupas, Pagoden und Tempel zu besichtigen. Herr P. spazierte zum Ufer des Flusses Ayeyarwaddy, der durch ganz Myanmar floss. Sträucher, deren Namen Herr P. nicht kannte, verströmten süße Düfte. Auch der Fluss floss grau dahin, breit und ohne jede Hast befand er sich auf langer Reise. Eine Bergkette auf dem gegenüber liegenden Ufer begleitete ihn.
Das Frühstück war mäßig, ein Englisches Frühstück, das den berühmten Namen „continental breakfast“ trägt. Herr P. ließ sich einen Mangosaft kommen, dazu zwei Spiegeleier. Jetzt war er für den Tag gerüstet. Und sein Begleiter sagte lächelnd: „Sie werden heut etwas Großartiges sehen, die Shwezigonpagode.“ O, ja. er verstand, neugierig zu machen. „Übrigens", fügte er hinzu, "es wird wieder heftiger über die neue Verfassung diskutiert. Es scheint, dass sich die Generale einer neuen Verfassung nicht entgegen stellen werden. Aber sicher ist das nicht.“ Er machte einen Pause, schaute Herrn P. an und ergänzte: „Wenn man ihnen ihre Privilegien lässt und sie sich für nichts verantworten müssen.“

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Im Jeep über sandige, staubreiche Wege, über Hügel hinweg, hinein in niedrige warme Senken und wieder heraus. Blühende Sträucher, blühende Akazien, Tamarinden und Palmyrapalmen standen zwischen den steinernen Monumenten. „Vorsicht“, mahnte der Begleiter Herrn P. „es gibt hier giftige Schlangen.“ Er machte Herrn P. auf unterschiedlich gestaltete Stupas aufmerksam. Manche waren glockenförmig, länglich gestreckt wie Gurken, andere rund oder trapezförmig ausgebildet. Mal sprach sein Reiseführer von Pagoden, dann wieder von Stupas oder Shedis. Diese Begriffe verwirrten Herrn P. Sein Begleiter lächelte verstehend. „All diese Bezeichnungen meinen buddhistische Heiligtümer. Tempel sind Gebäude mit Räumen. Man kann sie betreten und zu Buddha beten. Shedis und Pagoden bezeichnen nahezu dasselbe. Es sind buddhistische Kultbauten. Sie bewahren in kleinen Kammern Buddhastatuen und Reliquien auf. Man kann nicht in ihr Inneres hinein. Es sind weder Gräber noch Begräbnisstätten, wie oft angenommen wird.“ Eine große Pagode, aus roten flachen Ziegelsteinen errichtet, stand am Ende des Weges. Nein, das war nicht die Shwezigonpagode.


Bagan ist altes Siedlungsgebiet. Die Historiker wissen, dass der Name erstmals um 1050 in einer Inschrift des Chamvolkes erwähnt worden ist. Das war lange vor der Gründung Dresdens oder Leipzigs. Das war die Zeit, als sich die Mark Meißen herauszubilden begann. Über 2230 Monumente haben die Archäologen in der Ebene von Bagan gezählt. Tausende sind im Laufe der Jahrhunderte zu verfallen. Ausgerechnet in dieser trockenen Ebene wurde die Königsstadt Bagan um Mitte des 11. Jahrhunderts gegründet. Sie stieg allmählich zum Zentrum des Königreiches auf. Das große Bauen der religiösen Stätten begann in der Mitte des 11. Jahrhunderts. Im Verlaufe von 250 Jahren sollen die Heiligtümer entstanden sein.


Nach einer Senke taucht die Shwezigonpagode auf. Wie eine Glucke thront sie in der Ebene, einer Pyramide ähnlich strebt sie in die Höhe, bis sie im letzten Drittel in eine Glockenform übergeht, mit Gold überladen, an den Kanten turmgeschmückt. Die Shwezigonpagode ist ein monumentaler Bau, eingehüllt in Gold, Gold, Gold. Ein Löwe mit aufgerissenen Maul und zwei Hinterteilen und roten Augen sitzen an der Basis der Pagode. Stufen führen zu den drei Terrassen hoch. Dann folgt der Kuppelanlauf, der in die Kuppel übergeht. Lotosblüten schmücken die Spitze, die eine steinerne Bananenblüte bekrönt. In ihrem Inneren befinden sich kostbare Buddha-Reliquie. Ein weißer Elefant, beladen mit Reliquien, soll den Platz für die Pagode ausgewählt haben. 1060 sei mit dem Bau begonnen worden, 1181 war er vollendet. All die Jahrhunderte wurde das Heiligtum behütet und beschützt und immer wieder erneuert.


Herr P. umwandert die Pagode. Zahlreiche Gebäude, in denen Buddhastatuen aus Bronze aufgestellt sind, umgeben den Bau. Im nahen Kloster murmeln Mönche Texte, die voller Vokale sind. Es riecht nach gekochtem Reis und nach reifem Mango, nach gesalzenem Fisch und weißem Brot. Herr P. hat in den zurückliegenden Reisen viel in Asien gesehen, die hellen Paläste der Thaikönige, die großartigen dunklen Tempelfelder von Angkor in Kambodscha, die Pagoden in Laos. Die Ebene Bagans mit ihren Tempeln gehört zu den großartigen Heiligtümern Asiens, zählt zu den Einmaligkeiten dieser Welt. Sie zu sehen ist eine Erfüllung.

Ungebrochen scheint der Antrieb der Menschen in dem Vielvölkerstaat, sich eine gute Zeit nach dem irdischen Leben zu sichern, indem man Heiligtümer stiftet und für ihren Erhalt sorgt. „Selbst die Ärmsten werfen Geld in die großen Glasboxen, die in jedem Tempel stehen“, sagt Herr P´s Reisebegleiter, damit die Heiligtümer erhalten werden. "Wir sind ein Volk, das tief im buddhistischen Glauben wurzelt. Keine Macht der Welt hat uns dies zu nehmen vermocht.“ Herr P. zieht einen Geldschein aus seiner Hosentasche und schiebt ihn in den Schlitz der Box, die mehr als zur Hälfte gefüllt ist. Und er sieht, dass dies seinem Begleiter gefällt.


// Texte und Fotos: Reinhard Delau.