Geheimnisvolles Axum

Delaus Reise-Blog, Äthiopien-Reportagen

 

Äthiopische Reise / Stelen stechen in den Himmel / Israelische Bundeslade gestohlen

 

 

Herrn P’s Reise in das mit Legenden umwobene Axum, den Ort der rätselhaften Stelen, der Stadt, in der sich die israelische Bundeslade befinden soll, begann wenig verheißungsvoll. Er stand nach der Landung ziemlich hilflos auf dem Flugplatz. Die Maschine war mehrere Stunden später in Addis Abeba gestartet. Draußen stockdunkel. Zikaden lärmten, als seien sie trunken vor Glück. Und Sterne funkelten, als wollten sie ihn trösten. Wie kam er in die Hauptstadt des einstigen Königreiches Axum? Er sah sich schon die Nacht über unter  äthiopischem Himmel kampieren, von Erdmännchen belugt. Immerhin ein Schlafsack und eine Zahnbürste steckten im Rucksack.

 

Eine Amerikanerin, mit der er ein paar Worte im Flugzeug gewechselt hatte, hatte ihn beobachtet: „Sie werden nicht abgeholt?“
Herr P. verneinte.
„Hotel gebucht?“ Herr P. verneinte zum zweiten Mal.
„Das könnte schwierig werden.“
Sie erwartete Johannes ihren getreuen Mann für alle Fälle. „Er wird sich um Sie kümmern, wenn Sie wollen. Er ist absolut vertrauenwürdig.“ Und Herr P. dachte, was er auch anstellte, das Reiseglück blieb ihm treu. Axum durfte ihn empfangen. Dankbar wollte er alle Legenden und Geschichten glauben, jeden Zweifel verbieten. Er verbeugte sich in Gedanken.
„Was hat Sie hierher verschlagen?“
„Mein Professor hat mich überzeugt, über die Sitten und Bräuche der Tigray zu promovieren. Ohne Feldforschung geht das nicht. Verrückt, was?“
„Mehr als das.“
„Axum ist eine aufregende Stadt. Wer Steine und Geheimnisse liebt, der wird Großartiges erleben“, versprach sie. Und sie schenkte ihm ein Lächeln, das jeden Zweifel ausschloss.

 

 

Sie stammte aus irgendeinem Nest im Bundesstaate Iowa, hatte dort Völkerkunde studiert. Inzwischen war sie ein halbes Jahr in Äthiopien. Johannes erwartete sie, ein schlanker, sehr hellhäutiger Mann, keine dreißig Jahre alt begrüßte sie. Begrüßung: Amerikanisches Köpfchen auf seine rechte Schulter gezogen, Köpfchen auf die linke Seite gedrückt. Ausgestreckte Hand, die Herrn P´s Hand erfasste.

 

„Willkommen in Axum.“ Herr Gott, war das ein schöner Satz. Sech-, siebentausend Flug-Kilometer von Dresden entfernt, am Horn von Afrika, unter Sternen, Hemingway im Kopf. „Die grünen Hügel Afrikas.“ Aber grün waren sie hier nicht.

 

Die Straße war geteert. Er fuhr ohne jede Hast.

 

„Hotel? Teuer oder gut und ordentlich?“ Johannes warf einen Blick auf Herrn P´s Rucksack.
„Ja“, sagte Herr P, „ihm angepasst.“
„Wie viele Tage?“
„Vier.“

 

Mehrere Hotels waren ausgebucht. Im „Aze Khalep“ mitten im Zentrum gab es Zimmer. Als Herr P. Johannes bezahlen wollte, winkte der ab. „Wenn es ihnen recht ist, sehen wir uns morgen, vielleicht gegen zehn Uhr. Ich kann ihnen etwas zeigen oder ein paar Tipps geben.“
Es war ihm sehr recht.

 

Im spärlichen Licht Bungalows um einen Hof gestellt, die Fenster offen, Blumen, über Blumen, Mimosen-Bäume, Sträucher. Lange Tische und Bänke aus Holz, leichtes Blätterrauschen. Das Hämmern dumpfer Musikschläge aus allen Richtungen, unentwegt. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet, Bettgestell, weiße Laken, kein Stuhl, im Schrank zwei krumme Metallbügel. Im Bad ein Boiler, die Dusche tröpfelte, immerhin aus dem Hahn über dem Waschbecken floss warmes Wasser, welch ein Luxus, aber kein Stöpsel drin. 25 Dollar die Nacht, mit Frühstück. Seltsam, was Herr P. empfand. Er fühlte sich beschenkt.

 

Die nächsten Tage wie ein Wandeln, ein Schweben, voller Staunen, was Herr P. sah, erschien ihm manchmal wie unwirklich. Er erfuhr es wieder wie zuvor in Lalibela: Äthiopien war ein Land voller Rätsel und Geschichten, die in biblische Zeiten reichten. Johannes war ein kluger Ratgeber. „Ich vermute“, sagte er, „Sie wollen Axums große Vergangenheit entdecken. Die Stelen, die steinernen Überreste von Palästen, Grabkammern, die Bundeslade. Wenn Sie genauer hinschauen, werden Sie wenig finden, das Überschwang auslöst. Äthiopien ist ein bitterarmes Land. Der Durchschnittslohn beträgt etwa 30 US-Dollar im Land. Ich bin eine Ausnahme, mir geht es gut. Ich lebe von Touristen, die allein hierher kommen wie Sie.“ Sein Englisch war sehr gut. Herr P. erfuhr, dass er Lehrer gewesen war, Abitur in Axum, Studium in Addis Abeba, wo er bei einem Onkel, der Möbel bauen ließ und verkaufte, leben konnte. „Er hat mich verwöhnt.“ Nach drei Jahren habe er der Schule den Rücken gekehrt. Das Gehalt war miserabel. Keine 80 Dollar im Monat. Das verdiene er in der Saisonzeit, wenn es halbwegs laufe, in drei, vier Tagen. „Ich bin sicher, vor den Granit-Stelen werden Sie einen großen Gegensatz entdecken. Dort stoßen steinerne Hochkultur und äthiopischer Alltag aufeinander, unversöhnlich.“

 

Herr P. wunderte sich über Johannes´ Sicht. Er lehnte sein Angebot ab, ihn zu begleiten und gab ihm 15 Dollar. „Ich entdecke am liebsten allein“, sagte er.

 

Jetzt, jetzt war er allein. Er war reichlich etwa 6000 Kilometer geflogen, um die Stelen zu sehen. Makelloser blauer Himmel über der „Piazza“, über die er spazierte. Ein paar ärmliche Stände am Straßenrand mit Gemüse, Brot und Getränken. Maiskolben dufteten über glimmender Holzkohle, Ochsenkarren und Esel, verblichene Hausfassaden, meist zweigeschossige Häuser, blau und grün gestrichen. Schuhputzer bedrängten ihn. Die Straße lief auf einen Platz zu. Im Schatten alter Bäume hockten Frauen, reglos, die Köpfe mit weißen Tüchern bedeckt, Gesichter als seien sie aus Wachs, zahnlose Münder, sie streckten Herrn P. ihre leeren Hände entgegen. Nein, noch kein erhabenes Gehen, kein Staunen, eher Beklommenheit. Wohlhabend war die Stadt des ehemaligen axumitischen Reichs nicht, obschon sie Ziel Tausender Pilger war.

 

Noch fünfzig, noch zwanzig, noch zehn, noch fünf Schritte: Das Stelenfeld lag vor ihm, im grellen, harten Licht, schmal, ockerfarbig glitten die unterschiedlich hohen schlanken Stelen in die Höhe, stießen in den Himmel, elegante steinerne Nadeln, ähnlich den erbeuteten ägyptischen Obelisken, die in Rom, London und Paris die Plätze schmückten. Es war tatsächlich ein ungewöhnlicher Übergang. Die Stadt duckte sich im Tal, umgeben von zwei Höhenzügen, und wie aus dem Nichts stiegen die Stelen aus städtischer Enge auf, fremd, Ehrfurcht, Bewunderung erheischend, nicht von dieser Welt, starre schmale Steine.

 

Herr P. setzte sich auf eine Mauerkante. Er wusste, dass er an einem bedeutenden Ort der Welt war, an einem Ort hoher Kultur. Was waren das für Steinmetze und womit und wie hat man die Stelen als Ganzes aus den Granitsteinbrüchen herausgebrochen, geformt, gestaltet, wie transportiert, wie aufgerichtet, wie aufgestellt? Ähnliche Fragen wie bei den Obelisken. Die Archäologen sind sich nicht einig, wie das geschehen war. Im Heiligen Lalibela sollen Engel beim Bau der Felsenkirchen geholfen haben, welche eine schöne Geschichte, in Axum werden sie nicht erwähnt. Immer noch weiß man nicht mit letzter Gewissheit, warum dieser Aufwand getrieben wurde? Zunehmend haben jüngere Ausgrabungen ergeben, dass sie über den Gräbern der axumitischen Könige und hochgestellten Personen aufgestellt wurden, vielleicht um die Begräbnisstätten zu markieren, vielleicht um den Toten ein Haus zu geben, wahrscheinlich um die Bedeutung der Toten besonders hervorzuheben. Unter den Stelen entdeckte man Grabkammern. Allerdings gab es dort keine Hinweise auf Tote, gefunden wurden lediglich Tierknochen und Kohle, keine Gebeine, wahrscheinlich waren die Gräber ausgeraubt worden wie die der Pharaonen. Es ist wohl ein Urtrieb der Mächtigen, der Herrscher, dass sie über ihren Tod hinaus bewundert werden wollen. Mit den Pyramiden von Gizeh, diesen hohen gewaltigen Totenhäusern war das geschehen, in Kambodscha mit den großartigen Tempeln Angkor Wat und dem Bajum, den Gräbern im Tal der Könige in Oberägypten.

 

Eine Mauer umschloss das Stelen-Areal. Ziegen spazieren an ihr entlang. Fliegen fielen über Herrn P. her, als er es betrat. Ein Feld voller Steinbrocken, voller Steinplatten, voll grober Steinblöcke als seien sie verloren worden, achtlos hingestreut. Beherrscht wurde das Areal von zwei Stelen über 24 und fast 30 Meter hoch. Weitere niedrigere füllten das Feld. Neun zählte Herr P. Die beiden höchsten trugen angedeutete Türen, Fenster und Stockwerke. Im Umfeld von Axum soll es etwa 119 Stelen geben, erfuhr er von Johannes.

 

Anrührend: Hingestreckt lag ein Koloss, auf jeder Seite voller Zeichen, mehrere Male gebrochen. Die Wucht des Aufpralls kann man hören, wenn man es will. Archäologen vermuten, dass er beim Aufstellen umfiel und zerbrach. Wurden Steinmetze erschlagen? Quellen schweigen. Mit 33,5 Metern Länge ist der Koloss ein Meter höher als der höchste ägyptische Obelisk. Das ist ein großartiger Vergleich zwei unterschiedlicher Kulturen. Herr P. schloss die Augen, hörte das Raunen der alten Kaiserstadt, Stimmen wie im Wind, Laute, die er nicht verstand, sie sind nicht von dieser Welt, dachte er immer wieder.

 

Wann die Stelen gestaltet wurden, ist nicht bekannt, vermutlich im 2. bis 4. Jahrhundert n. Chr. Manche Historiker meinen, dass sie in vorchristlicher Zeit aufgestellt wurden, also vor mindestens 2000 Jahren, da im christlichen Äthiopien keine Stelen mehr aufgestellt wurden. Sicher ist, dass der Granit in den nahen Steinbrüchen der Stadt gebrochen wurde, etwa vier, fünf Kilometer entfernt. Axum wird zum ersten Mal im 1. Jahrhundert v. Chr. erwähnt, später war die Stadt Krönungsort aller äthiopischen Könige, bis zum letzten Kaiser Haile Selassie, der 1974 entmachtet wurde. Die Stadt gilt den orthodoxen Gläubigen als Pilgerort, als heilig. Vielleicht ist das tröstlich. Herr P. wollte es glauben.

 

Ein nächstes Rätsel windet sich um die israelische Bundeslade, die sich in Axum befinden soll. In ihr sollen die zehn steinernen Gebote aufbewahrt werden, die Moses von Gott erhalten habe. Die Bundeslade wird von einem Priester auf Lebenszeit bewacht. Ihn wollte Herr P. morgen sehen. Johannes sollte übersetzen.

 

Abends dröhnten wieder die spärlich beleuchteten Bars. Die  fest gestampften Böden waren mit Gras bestreut. Frauen tanzten, zucken mit ihren Schultern. Als Herr P. eine Bar verließ, folgte ihm eine Frau. Er verstand nicht, was sie sagte. Nur eins bekam er mit. Sie wollte 30 US-Dollar, voraus gezahlt, dann würde sie mit ihm gehen. Herr P. suchte Augenkontakt, bedankte sich freundlich. Unwirsch wandte sie sich ab.

 

Es gelang nicht, den Bewacher der Bundeslade in der Kapelle zu entdecken. Zu gern hätte er sich die Geschichte erzählen lassen, die alle Äthiopier glauben würden. Der spätere König Menelik I., Sohn des jüdischen Königs Salomo und der sagenumwobenen Königin von Saba, heute Jemen, eine biblische Gestalt aus dem 10. Jahrhundert vor Chr., soll während ihres Besuchs in Jerusalem gezeugt worden sein. Menelik besuchte später seinen Vater in Jerusalem, klaute die Lade und brachte sie nach Axum. Gesehen hat die Bundeslade bisher niemand. Sie ist umhüllt. Kopien von der echten aber soll es geben. Die Steintafeln sollen sich in der verschlossenen Truhe befinden. Beweise wurden nie vorgelegt. Ein Geschichtchen berichtet gar, dass sie im Mauerwerk einer Kapelle versteckt sei. Einmal im Jahr wird eine Kopie durch Axum getragen. „Jeder Äthiopier schwört darauf, dass sich die Bundeslade in Axum befindet, „jeder“, so Johannes. Und er flüchtet in den Plural. „Wir Äthiopier neigen zum Wunderglauben. Er gibt uns Sicherheit.“

 

„Auch ihnen“, fragte Herr P.

 

Er lächelte und konzentrierte sich auf die Straße, die zum Flugplatz führte. In der Halle drückte er Herrn P. wie die Amerikanerin, zog ihn rechts, dann links an Schulter und Hals.

 

„Äthiopien, wie soll man dieses Land begreifen, was glauben?“, fragte Herr P.

 

Johannes versteckte ein Lächeln. „Am besten gar nicht“, antwortete er, „dann verstehen Sie das Land vielleicht besser.“

 

 

 

 

 


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// Texte und Fotos: Reinhard Delau.