Abends in Vientiane

Delaus Reise-Blog, Laos-Reportagen
// Vientiane

 

Aus dem Südostasien-Tagebuch des Herrn P. / Ankunft in Laos

 

 

22. November 2007 , Phnom Penh

Sehr heiß, über 30 Grad, und der Himmel über der Zwei-Millionen-Stadt Phnom Penh wie mit dünner Milch übergossene. Ein reines Blau strahlte hier selten. Vielleicht gar nicht. Zumindest hatte es Herr P. in den zurückliegenden drei Wochen seiner Reise durch Südostasien nicht gesehen. Drüben auf der Ufermauer des Tonle-Sap-Flusses dösten die Nichtstuer, Tagelöhner, Mopedfahrer,  Bettler und Diebe. Träge und breit floss der Tonle Sap. Gestern hatte sich Herr P. noch einmal über die einzige Brücke der Stadt - auf die andere Seite des Flusses fahren lassen. 

Schöner Blick auf den Königspalast, auf die Uferpromenade. Gediegene helle Villen standen, umgeben von Mauern und Grün. Kinder spielten auf der Straße Fußball. Dort, wo der Mekong und der Tonle Sap ineinander flossen, schaukelten Boote am Ufer. Fischer flickten Netze. Es stank nach verfaultem Fisch und verbranntem Müll. So sollte man Flüsse nicht beleidigen, die Lebensadern des Lebens und der Kühle.

Herr P. saß beim seinem letztes Frühstück in Phnom Penh. Vom Fluss wehte ein schwacher Wind, der seine Haut berührte. Die Kokospalmen an der Uferstraße spendeten kaum Schatten.

Er ließ sich von der zierlichen Chinesin Fu bedienen. Ihre Stimme war angenehm. Und ihre Bewegungen waren langsam. Sie hatten etwas Aufreizendes. Inzwischen wusste Herr P. einiges über sie. Sie besuchte in Phnom Penh sechs Jahre die chinesische Schule. Danach lernte sie etwas Englisch. Ihre Eltern waren geschieden. „Er ist zu einer anderen gegangen, zu einer Jüngeren.“ Ihr Zorn war unüberhörbar. Sie studierte an der Universität Informatik. Das sei aufregend und teuer. Ging alles gut, schloss sie in zwei bis zweieinhalb Jahren ihr Studium ab. Danach möchte sie in einem großen Unternehmen arbeiten. Vielleicht in Saigon oder in Südkorea. Sie träumte von einem eigenen kleinen Auto. Einen Freund hatte sich nicht. „Wozu?“ Sie lachte. Ein Karren, beladen mit grünen Bananen, versuchte ein paar Meter in Richtung Königspalast vorwärts zu kommen. „Jetzt gegen elf Uhr ist hier Dauerstau, trafic jum“, sagte sie. „Es stinkt nach Auspuffgasen. Schrecklich.“ Und sie zog ihre Schultern hoch, als berühre sie jemand unangenehm. Spätestens 14 Uhr musste Herr P. auf dem Flugplatz sein. 15.30 Uhr startet die Maschine nach Vientiane. Die Abfertigungsschalter schlossen 40 Minuten vor dem Abflug. Danach ging nichts mehr. Asiatische Rigorosität.

Nachmittag

Auf dem Flugplatz wieder Hochgefühl. Doppelte Verfremdung. Irgendwo auf dieser Erde geht ein gewisser Herr P. einem Flugzeug entgegen, das ihn nach Laos bringen soll. Eine in die Jahre gekommene Zwei-Propeller-Maschine der Lao Airlines erwartet ihn. Er will nicht denken, dass sie schon sehr alt sein könnte. Und als sie startete, bemerkt Herr P., dass sich die Nieten im Flugzeugrumpf bewegen. Als er schließlich in Vientiane, der Hauptstadt von Laos, landet, atmet er erleichtert auf. War doch eine leise Angst in ihm. Als er sein Visum erhalten hatte, war es dunkel geworden.

Abends in Vientiane

Vientiane erwartete ihn, war er sicher. Das einzige, was ihm zu schaffen machte, war die schnelle Ortsveränderung. Er erinnerte sich an einen Satz von Graham Greene, dessen Bücher Herr P. gierig gelesen hatte. Green hatte Vientiane 1954 besucht und notiert: „Zwei Straßen, ein europäisches Restaurant, ein Club und der übliche schmuddelige Markt, ein langweiliger Ort, ein Jahrhundert von Saigon entfernt.“ Was würde er, Herr P., feststellen.

 

 

Der Taxifahrer, der einen alten Toyota fuhr, hatte eine Art, die ihm sofort gefiel. Er war schlank, mager, dunkle Augen in schmalen Augenhöhlen. Weißes Hemd, schwarze Hose. Er taxierte Herrn P., rechnete aus, was er ihm abverlangen könnte. Herr P. gab sich nicht zu erkennen, wohin genau er wollte. „Fahren Sie in Richtung Mekong, in die City, „dorthin, wo sich die Restaurants am Fluss befinden“, deutete Herr P. an, dass er sich auskannte. Das Englisch des Mannes war fließend. Er sei der am besten englisch sprechende Taxifahren in Vientiane, lobte er sich. Er habe mehrere Jahre im Wirtschaftsministerium gearbeitet. Schlecht bezahlt. „Dort saßen noch die Pathet Lao-Leute, die den Sozialismus in Laos einführen wollten. Furchtbar. Wie soll man aus Bergen, Reisfeldern und Analphabeten Sozialismus machen. Man musste korrupt werden, wenn man halbwegs leben wollte.“ Das war nicht nach seinem Geschmack. Herr P. hatte es also mit einem ehrlichen Taxifahrer zu tun. Das verwunderte ihn etwas. Er würde es erleben, ob sein Wundern berechtigt sein würde. Er stehe Herrn P. zu Diensten, sagte der Mann und fuhr in mäßigem Tempo in die Stadt. Er bestätigte: „Selbstverständlich zum Mekong.“ Mit elegantem Schwung zog er eine Visitenkarte aus dem Hemdtasche. Mit Tempelfahrten oder in die alte Königstadt Luang Prabang könne er dienen. Zu jeder Zeit. Oder zur Friedensbrücke über dem Mekong, die Laos mit Thailand verbindet, oder zu den Tempeln. Er wisse einiges über sie. Und wenn er Sonderwünsche haben sollte, er kenne einige verschwiegene Bars. Dor gebe es sehr hübsche vietnamesische Mädchen. Ansonsten biete die Stadt nicht viel. „Wir sind hier sehr konservativ. Schon nach elf schließen die meisten  Restaurant und Bars. Kein Vergleich mit Bangkok oder Phnom Penh. Er sei einige Male in Phnom Penh und Bangkok gewesen.

Er ignorierte Herrn P´s Hinweis, der vorgab, die Restaurants am Mekong zu kennen, und fragte: „Zum ersten Mal hier?“ Aha, dachte Herr P., jetzt war er bei der Feinberechnung seiner Taxiheuer angekommen. Und Herr P. hatte vergessen, den Preis auszumachen. Wehe, man gab zu, dass man zum ersten Mal auf Besuch sei. Das war immer von Nachteil. Herr P. nannte den Name des Hotels. „Don Chan Palace.“ „Es ist das neueste Luxushotel von Vientiane“, klärte der Taxifahrer auf, „steht nahe am Mekong, sehr teuer.“ Er könne gute preiswertere empfehlen. Die liebenswürdige Dame in Phnom Penh, die ihm die Unterkunft besorgt hatte, hatte gemeint: „Es wird Ihnen gefallen. Schöner Blick auf den Mekong, auf die Stadt, auf die vielen Pagoden.“ Die preiswerteren Hotels seien ausgebucht, hatte sie behauptet. Es finde ein Sportereignis in Phnom, Penh statt. Wie liebenswürdig sie gelogen hatte. Herr P. war sicher, dass günstigere Hotels zu haben sein würden. Dennoch stimmte er dem schönen Blick auf den Mekong zu. Auf den Mekong zu schauen, diese langen Strom Asien, musste großartig sein. Und sie strahlte. Die Provision fiel erheblicher aus als bei einem billigeren Hotel. 70 US-Dollar für eine Nacht hatt er zu zahlen, ein Vermögen in Laos.

Die Herberge beeindruckte den Ex-Wirtschaftsmann. “Nicht zum ersten Mal“, antwortete Herr P., zu dritten Mal. Das freilich stimmte nicht. Aber würde den Taxifahrer vorsichtiger machen, glaubte Herr P. Er stufte ihn  als business man ein, trotz T-Shirt und schon arg ramponiertem Rucksack, der inzwischen drei Asienreisen hinter sich hatte. Man kann sich ja am nächsten Tag verwandeln. Er packte den Rucksack und trug ihn zur Rezeption. Der Preis gab keinen Grund zum Protest. Herr P. zahlte sechs Dollar. „Wenn sie mich brauchen, bitte.“ Er verneigte sich leicht. Er ist wirklich gut erzogen, dachte Herr P. Das war arrogant. Aber Reisen macht gelegentlich auch arrogant. Herr P. erinnerte sich an einen Zeitungsartikel, den er vor langer Zeit gleich zu Beginn seines mehrjährigen Ägyptenaufenthalts in einer Zeitung gelesen hatte. Der Autor beschrieb, wie arrogant die Engländer während der Kolonialzeit in Kairo gewesen seien. Sie wichen niemals einem Ägypter auf dem Bürgersteig aus. Nach gut einem halben Jahr wich auch Herr P. nicht mehr aus. Er fand das nicht sonderlich verwerflich. Das war vor 37 Jahren.

 

Herr P. bekam ein Zimmer im 12. Stock. Es war sehr geräumig. Blick auf den Mekong, der im Dunkel lag, Blick auf die Stadt, die sparsam erleuchtet war. Dächer und Pagodengiebel, Palmen. Er bereitete sich einen schwarzen Tee zu, stellte sich unter die Dusche, ließ das Wasser so heiß wie möglich über sich laufen. Die leichte Müdigkeit war wie weggeblasen. Er hatte Hunger. Er verließ das Hotel. Eine breite Alle führte am Mekong entlang. Er aß in einem kleinen Restaurant, ein Steak, dazu Klebereis und etwas Obst, Melone und Papaya, trank zwei kleine Flaschen Lao-Bier, lehnte sich im Korbstuhl zurück, schloss die Augen, hörte die Summe der Stadt, ihr dunkles Rauschen, war zufrieden. Reisen. Es war tatsächlich die aufregendste Art, sich zu bewegen, zu entfernen, zurück zu kehren. Er hatte Zeit, kein Fremdenführer, kein Buskommandant würde ihn hetzen. Neben dem Restaurant befand sich ein Massagesalon. Ein Frau, schlank, langes, braunschwarzes Haar, vielleicht um die zwanzig Jahre, knetete ihn eine Stunde durch. Kurz vor Ablauf der Stunde fragte sie Herrn P., ob er eine Entspannungsmassage wünsche. Herr P. wünschte nicht. Ihre Massage hatte ihn bereits entspannt. Sie lächelte. O, ja, es war ein schönes leises Lächeln. Herr P. gab ihr ein ordentliches Trinkgeld. Und sie bot ihm an, ihn auf ihrem Moped ins Hotel zu fahren. Sie höre auf, es sei ohnehin schon spät. Es waren zu Fuße keine zehn Minuten bis zum Hotel. „Wenn sie wollen“, sagte er, „gern.“ Er setzte sich auf das knatternde Gerät und umfasste sie. Ihr Haar duftete. Als er abstieg, sagte sie. Sie sei morgen abends wieder in dem Salon. Sie würde sich freuen, wenn er wieder käme. Sie reichte ihm ein Kärtchen. „Woher sind Sie? fragte Herr P. Sie nannte einen Ort, den Herr P. nicht kannte. Es sei ein Dorf, sie sei erst etwas mehr als ein Jahr in Vientiane. „Vielleicht komme ich“, sagte Herr P. Wieder im Hotel zurück, fing ihn die Müdigkeit ein. Es war eine angenehme weiche Müdigkeit. Er überließ sich ihr ohne jeden Widerstand. Sie würde ihn mit Bestimmtheit in einen ruhigen Schlaf führen. Die erste Nacht in Vientiane lag vor ihm. Und er war sicher, dass seine Neugier morgen unerschöpflich sein würde. Er nahm eine Flasche Bier aus der Zimmerbar, zog die Vorhänge zurück, schaute auf die Stadt. Wenn er Glück hatte, würde sie ihm in den nächsten Tagen einige Geheimnisse verraten. Er legte das Kärtchen auf den Schreibtisch, las ihren Namen. Sie sei eine Laotin, hatte sie gesagt.

2007

 


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// Texte und Fotos: Reinhard Delau.