Erste Begegnung in Bangkok

Delaus ReiseBlog. ThailandReportagen

 

Oktober 2011

 

 

Herr P. zweifelte: Sollte er noch einmal nach Südostasien reisen? Nach Kambodscha? Nach Laos, vielleicht gar in den Norden Thailands, nach Chiang May?, der Stadt, die voller Tempel sein soll? Ins Goldene Dreieck, die einstige Opiumhölle. In Chiang May war er noch nie.
Er wird 72. Soll er sich das noch einmal zutrauen? 


Seine Art zu reisen ist anstrengend, mit Rucksack und ohne genauen Plan.
Er sitzt niemals in irgendwelchen großen Reisekutschen, mit Gardinen vor den Fenstern, gut gekühlt, schläft nicht in langweiligen Vier- oder Fünfsterne-Hotels am Rande der Städte, die ohne jeden Geruch sind. Die sind so öde wie ausgetrocknete Flussläufe in der libyschen Wüste. H. ist besorgt.

 „Wenn dir was passiert?“

 „Du warst doch mehrere Mal dort.“

 „Was soll dir an Neuem zuwachsen?“

 

Er, etwas gereizt, erwidert: „Herr P. erfährt immer Neues.“ Er weiß: Jede Reise erschafft sich selbst, keine gleicht der vorhergehenden, selbst wenn sie wiederholt zu bekannten Orten führt. Allein das Licht hat so viele Farben und Töne, die erfreuen. Himmel zwischen blau und fleischfarben, Wolken wie Mandelblüten, grünglasig auf den Reisfeldern. Wie damals in Bangkok.

 

Er war zu seiner ersten Thailandreise gekommen, die eine kleine Journalistengruppe mit dem Land des Lächelns, dem alten Siam, bekannt machen sollte. Schreiben Sie über uns. Man hatte sie verwöhnt mit Freundlichkeit und gutem Essen. Warum er eingeladen worden war, weiß er bis heute nicht. Sicher ein Zufall. Und: Es war noch die Zeit, in der an Journalisten aus dem Osten gedacht wurde. Sie, die hinter der Mauer gelitten hatten, sollten erfahren, wie groß und schön die Welt war. Dem Zufall verdankte Herr P. das Glück, einem völlig anderen Kontinent, einem anderen Kulturkreis zu begegnen. Wahrscheinlich wäre er nie auf die Idee gekommen, nach Südostasien zu reisen.

 

Man hatte sie in einem Hotel außerhalb Bangkoks untergebracht, in einem prächtigen Hotel. Blühende Gärten umgaben den Bau. Künstliche Wasserläufe murmelten. Natürlich mit swimming pool und Kellnern, die auf einen Wink zu Stelle waren. „Yes, Sir.“ Erst am nächsten Tag sollte die zehntägige Reise ins Landesinnere beginnen. Fast ein ganzer Tag lag vor ihm und die Ödnis und Langeweile des Hotels. Er mietete einen Taxifahrer, der ihn in der Nähe des Bangkoker Regierungsviertels absetzte. Mitternacht wollte Herr P. wieder abgeholt werden. Er strich eine Weile um einen reich mit Gold verzierten Tempel herum, unentschlossen, ob er ihn betreten soll. Verboten - wie etwa in Marrakesch - war das nicht.

 

 Sie hatte ihn beobachtet, wie unsicher er seine ersten Schritte in der Riesenstadt setzte, die Schuhe vor dem Tempeleingang auszog, ins Dämmerlicht trat. Ein übergroßer Buddha beherrschte den Raum. Sitzend, die Beine untereinander geschlagen, spielte ein unergründbares Lächeln auf seinen üppigen Lippen. Er hat etwas Weibliches und Entrücktes, dachte Herr P. Wieder draußen, sprach sie ihn an. Aha, dachte Herr P., eine Prostituierte. Gewisse Viertel in Bangkok seien voll davon, hatte er gelesen. Vielleicht war sie eine moderne Apsara, eine Tempeltänzerin, die die Götter im Himmel zu unterhalten hatte. Sarkastisch dachte Herr P.: Leider war er  kein Gott, auch noch nicht im Himmel angekommen. Dass er dorthin gelangen würde, hielt er für ziemlich ausgeschlossen. Herr P. schaute die Thailänderin an. Sie war jung, vielleicht gar weniger als 25. Große schwarze Augen, kräftiges schwarzes Haar, Pferdschwanz., trug rosa Bluse und Jeans. Ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem lang gezogenem Augenschnitt gefiel ihm. Und er taufte diesen Gesichtstyp Mondgesicht. Er blieb skeptisch, wahrte gar einen gewissen Abstand zu ihr, griff an seinen Gürtel. Die Bauchtasche hing zuverlässig am Gürtel, verschlossen.

„Sie sind ganz neu hier“, stellte sie fest.

 Es war ihm unangenehm, dass sie das beobachtet hatte. Er bestätigte es nicht, schwieg.

 „Ich sehe das“, sagte sie. „Ihre Augen irren herum, unstetig, halten nichts wirklich fest. Schenken Sie Buddha Ihre Aufmerksamkeit. Er wird sie segnen und gute Reise wünschen. Und Sie werden etwas Ruhe finden.“

Sie schaute ihn an, als sei er etwas Kostbares. Auf ihrer Haut lag ein leichter walnussfarbener Schimmer.
"Er hat sie gütig angenommen“ sagte sie fröhlich.

Ihre Augen lachten. Und ihre roten Lippen schimmerten feucht. Herr P. schaute in ihren Blusenausschnitt. Er atmete den süßen Geruch der Räucherstäbchen, sah die leicht rosa schimmernden, nahezu geschlossenen Lotusblüten, schob seine in einen ausgebeulten bauchigen Krug, der mit Wasser gefüllt war. „Kommen Sie, sagte sie, „ich zeige ihnen etwas.“ Da war Herr P. sicher: Sie ist eine Prostituierte, die es geschickt begann.

Sie führte ihn zu einem kleinen Gebäude, vor dem Kübel voller Lotosblumen standen, zog eine Banknote aus einem Täschchen und kaufte zwei Lotosblumen und Räucherstäbchen. Wenige Schritte weiter thronte ein Buddha auf einem niedrigen Sockel, den viele Menschen umringten, fast ausschließlich Asiaten. Dutzende von Lotosblumen standen in Gefäßen und Krügen. Süßer Geruch, Geruch von abgebrannten Kerzen. Sie steckte die Lotusblumen in ein Gefäß und zündete die Räucherstäbchen an. Seine Apsara legte ihre Handflächen aneinander, führte sie auf Augenhöhe und betete kurz. Dann wandte sie sich wieder Herrn P. zu.  Ihre Augen lachten. Und ihre roten Lippen schimmerten feucht. Herr P. schaute in ihren Blusenausschnitt. Er atmete den süßen Geruch der Räucherstäbchen, sah die leicht rosa schimmernden, nahezu geschlossenen Lotusblüten, schob seine in einen ausgebeulten bauchigen Krug, der mit Wasser gefüllt war.
Als er sich wieder seiner Begleiterin zuwandte, sah er einen Mann kommen. Er sammelte die gesamten Buddha gespendeten Lotusblüten ein und brachte sie zum kleinen Laden zurück und stellte sie wieder zum Verkauf auf. Herr P. schüttelte leicht den Kopf, einige Male. Das kann doch nicht sein. Für Buddha gekauft und ihm entzogen und wieder mit Profit verkauft.

 

 „Ist das so üblich?“, fragte er.

 Sie ahnte wohl sein Unverständnis. „So können sie ihm immer wieder neu geschenkt werden, bis sie verblühen. Das ist doch schön.“

 

 

Und er dachte zum ersten Mal: Asien. Noch hatte das Wort für Herrn P. keinen Klang, war weit von den wunderbaren Worten entfernt: „Die grünen Hügel Afrikas.“

Was wird er erfahren?

 

Seine Apsara brachte ihn zum Tempel zurück. „Gleich in der Nähe gibt es heiße Gelegenheiten, sich zu vergnügen, sagte sie lächelnd. Herr P. schenkte ihr 100 Bath. Sie bedankte sich artig, wünschte ihm eine gute Reise und verschwand hinter dem Tempel. Und Herr P. bedauerte es.

 

Orlowski, dieser arrogante Mensch, dem P.´s Unruhe vor der Reise nicht entgangen war, sagte: „Der November ist nahe. Lockt wieder das Land des Lächelns? Locken vielleicht die Damen? Er grinste und maß ihn vom Kopf bis zu Fuß. Zu welchem Urteil er kam, verschwieg er Herrn P., fuhr fort: „Schon den Rucksack gepackt?“ Das war Ende September. Jetzt war der 14. Oktober. Riesige Landstücke waren in Fluten versunken. Ajutaja, die alte Königsstadt, las er, war überschwemmt. Es gab Tote. Hochwasser bedrohte Bangkok. Herr P. blieb unentschlossen.

 

Zwei Tage später buchte er, nachts 2.30 Uhr online. Berlin-Bangkok- Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodschas.

 

 

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// Texte und Fotos: Reinhard Delau.