Chaostage in Bangkok

 

Zwei Tage in Bangkok verloren und
viel mehr gewonnen

 

Herr P. war nach Bangkok unterwegs. Er war fast vier Wochen durch Südostasien gereist: in Bussen, Flugzeugen, Bahnen, die sich Express nannten und lärmend durch die Landschaft ruckelten. Das steinreiche Singapur hatte er gesehen, hatte sich in Malaysias Regenwald geschunden, umsummt von Mücken und Geziefer, war aus dem lauten Phnom Penh geflohen. Jetzt hatte er nur noch einen Tag und eine halbe Nacht vor sich. 

23.45 Uhr flog seine Maschine nach Wien. An diesem Vormittag des 26. Novembers 2008 – er flog von Phnom Pen nach Bangkok - ahnte er nicht, was sich in den nächsten Stunden und Tagen ereignen sollte.

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Ein graublauer Himmel hing über dem Land. Die Maschine begann zu sinken. Einzelne Zuckerpalmen, die hoch hinaus schossen, Streifen von grellem Grün, Reisfelder, Häuser auf Pfählen, Kokospalmen voller Früchte, Lagerhallen, Gewerbeareale. Die ersten Hochhäuser stachen aus der Landschaft, die flach wie ein Brett war. Bangkok rückte näher, die ausufernde Stadt, dieses Ungetüm aus Lärm, Staub und Abgasen, aus übereinandergeschichteten Straßen, breiten Alleen. Knapp sieben Millionen Menschen sollten in der Stadt leben.

 

„Aber so genau weiß das niemand“, hatte ihm Aekerach gesagt. „Wer in den Slums wohnt, im Dickicht der Wellblechhütten und fensterlosen, stickigen Behausungen, der ist mit Gewissheit nicht gezählt.“ Aekerach, der Nachrichten jagte, wie Jäger das Wild. „Die Stadt ist ein Moloch. Wer Geld hat, der baut, ohne Plan und Regel, vorausgesetzt, er hat gut bestochen.“ Er war voller Verachtung und doch liebte er die Stadt. Er war noch in einem zweistöckigen Haus geboren worden, unweit der grellen Sukhumvit Road, unter Palmen. Heute steht dort ein Wolkenratzer. Er hat mir stille Winkel gezeigt, lotosübersäte Nebenläufe des Menam Chao Phraya, der durch Bangkok fließt. „Bangkok ist eine Stadt voller schmaler Brücken. Man bemerkt sie meist nicht.“

Der Verkehr auf der Autoschnellstraße nahm zu. Wegen der angespannten Atmosphäre wurden die vorgesehenen Interviews und Gespräche in Bangkok abgesagt. Der Regierungssitz ist von der Opposition besetzt. Aekerach hat Glück gehabt. Sohn eines mittleren Staatsangestellten hat er an der Bangkoker Universität Wirtschaftswissenschaften studiert. Ein Stipendium ermöglichte ihm ein dreijähriges Studium in Sydney. „Dies verdanke ich den Beziehungen meines Vaters.“ In Australien hat er Politik- und Wirtschaftswissenschaften studiert. Nach seiner Rückkehr hatte er die Chance, in den Staatsdienst aufgenommen zu werden. Aber das wollte er nicht. Ihn zog es zur Presse. Bereits in Australien hatte er Berichte und Reportagen verfasst. Er träumt von einer Korrespondentenstelle. In Japan oder China oder in Amerika. Aber die ist sehr weit gerückt, seit er sich vor zwei Jahren mit dem Chefredakteur überworfen hat und aus der Politikabteilung geflogen ist.

  

Die Stadt ist erreicht. Straßen, die unter der Autolast stöhnen. Auf Betonstelzen Hochstraßen. Gelegentlich grüne Inseln, die im Schatten himmelwärts strebender Wolkenkratzer liegen. Bangkok wurde erst 1782 zur Hauptstadt des damaligen Siams erklärt. 1932 wurde Thailand konstitutionelle Monarchie. Dabei ist es geblieben. König Bhumipol hat in einigen Tagen Geburtstag. Große Bildnisse, Triumphtore schmücken Plätze. Das ist vielleicht das Erstaunlichste. Alle verehren den König. Die Fingerspitzen aneinander gelegt, als würde man zu Buddha beten, hieß es immer wieder. „Wir lieben ihn.“ - „Er tut so viel für das Land, gibt Geld für Straßenbau, Schulen, Universitäten.“ Woher er es hat, wurde nichtgefragt. Die Regierung sei korrupt.“ - „Der König hilft dem Land, wo er kann.“ Eine solche naive Verehrung ist Herrn P. nirgends begegnet. Auch Aekerach machte keinen Hehl aus seiner Hochachtung für das Königshaus, wenn auch unterkühlt und differenziert. „Er ist der wichtigste Machtfaktor in Thailand, manchmal der einzige, der die politischen Kontrahenten in Schach hält. Und er kann lange schweigen und warten, ehe er sich zu Wort meldet. Hinter ihm steht ein Großteil der Armee, der Polizei.“

 

 

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// Das Königsschloss
in Ayutthay

Der Königspalast

Schwül, sehr schwül. Menschenmassen auf dem Sanam Luang. Es scheint, als hätten alle Schüler Thailands Ausflugtag. Der Palast ist von einer hohen weißen Mauer umgeben. Man ist freundlich zu Herrn P. Er darf seinen Rucksack abstellen, obwohl es unüblich ist. Eine große Rasenfläche links. Ein lang gezogener Bau. Die Türme, die Stupas (Grabstätten der Herrscher), die Stufen, Marmor, geschweifte rote Dächer, mit Gold verziert. Es funkelt und glitzert. In bunten Keramikfassaden spiegelt sich das Licht, blau-rot, goldig verzierte Giebel. Überlebensgroße Dämonen, die Jacks, schauen grimmig. Krummbeinige Garudas halten Schlangen, Nagas, fest. Es ist eine ganz andere, eine fremde Formen- und Figurensprache, eine völlig andere Symbolsprache als in Europa. Herr P. setzt sich. Die Stufen sind warm. Er schaut, schaut. Welch eine Pracht, welch eine Fülle von Schmuck, Figuren, Plastiken, Säulen, Perlmuttfriese. Stunden bringt er im Königspalast zu, beobachtet Betende, spendiert eine Lotosblume, steckt Räucherstäbchen in den Sand. Er lässt sich Zeit, hebt sich das Wichtigste, den Smaragdtempel, für den Schluss auf.

 

Der Tempelraum ist hoch. Wandmalereien an den Wänden, bemaltes dunkelrotes Gebälk. Und entrückt, angestrahlt vom Licht, klein, ja zierlich, thront der Smaragdbuddha, der Verehrte, der Religionsstifter im Halbdunkel des Raumes. Viermal im Jahr werden ihm neue Kleider angelegt: im Winter, Frühling, Sommer und Herbst.

 

Herr P. ist hungrig und durstig, als er den Palast verlässt. Nach dem Essen lässt er sich durch Bangkok fahren, kreuz und quer, steigt schließlich in einem feinen Massagesalon ab. Als er nach einer Stunde erquickt in die Halle tritt und ein Taxi zum Flugplatz bestellen will, hört er: Die Zufahrtsstraßen seien gesperrt, der Flugplatz von der Oppositionspartei PAD besetzt.

 

Man bringt ihm einen Tee. Ein Mann lässt sich die Telefonnummer der Austria Airways geben, versucht den Flugplatz zu erreichen. Kopfschütteln. Herr P. will das alles nicht so recht wahr haben, will zum Flugplatz. Vielleicht trifft er noch jemanden, der ihm sagt, wie es weiter gehen soll.

 

Ein Mann, der ihn beobachtet hat, kommt auf ihn zu. „Wenn Sie wollen, nehme ich Sie zum Flugplatz mit. Ich arbeite dort.“

 

Der Expressway wie ausgestorben im grellen Licht der Straßenbeleuchtung. Nur ganz selten ein Fahrzeug. Das Lichtgefunkel der Hochhäuser, vage Umrissen von Türmen, Kanten, Fassaden vor dunkelblauem Nachthimmel. Herr P. ist noch immer die Ruhe selbst. Dann die ersten Absperrungen, Stacheldraht. Sein Fahrgenosse redet, redet, weiter geht es, weiter. Herr P. lächelt freundlich, winkt wie eine bedeutende Person. Tatsächlich, sie erreichen das Flughafengebäude. Sein Freund stoppt vor einem Nebeneingang. „Vielleicht kommen Sie durch.“ Und er hält die Hand auf. Zehn Dollar wechseln den Besitzer.

 

Herr P., den Rucksack auf dem Rücken, steht hilflos da. Er betritt die erste Ebene. Sie ist leer. Dann sieht er die Anzeigetafeln: Alle Flüge sind gestrichen. Es gelingt ihm, bis zu vierten Ebene vorzudringen. Staunen. Woher er komme. Ungläubiges Lächeln, als er erklärt. Warmen Reis in einem Cellophan bietet man Herrn P. an und eine Flasche lauwarmes Mineralwasser. Ohrenbetäubender Lärm schallt. In orangen T-Shirts gekleidet, strömen Hunderte, Tausende hinauf, lagern auf dem Boden. Frenetische Sprechchöre schallen.

 

Ein Offizier nimmt ihn zur Seite, ein junger sympathischer Mann. „Es ist besser, Sie verschwinden hier“, sagt er. Ja wohin? Aus diesem Gewühl der leeren Zufahrtsstraße findet er nie und nimmer heraus. Nun beginnt sich Herr P. doch Sorgen zu machen. „Es könnte sein“, sagt der Offizier, „dass im Parkhaus noch einige Taxen stehen.“ Und erklärt den Weg. Erst geradeaus, dann mit dem Fahrstuhl hinunter, dann nach rechts, dann links.

 

   Also geradeaus, dann mit dem Fahrstuhl hinunter. Er landet auf einer Straße, die im Dunkeln liegt. Kein Fahrzeug. Nein auf die nächste Straße, die steil zur Schnellstraße ansteigt, wagt er sich nicht. Es war wohl doch eine Dummheit, zum Flughafen zu fahren. Er wartet unentschlossen. Ein Auto hält neben ihm, eine junge Frau steigt aus. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt sie. Herr P. erfährt. Die Hotels in unmittelbarer Nähe des Flughafens sind alle besetzt. Etwas weiter gibt es noch freie Zimmer, keine fünfzehn Autominuten entfernt.“ Es war Herrn P., als hätte ihn ein Engel geküsst.

 

Er kommt in einem Hotel unter. Die junge Frau, die einen Job auf dem Flugplatz hat, kopierte sein elektronisches Ticket und eine Passseite, verspricht, morgen wieder zu kommen.

 

Chaostage

 

Am 27. November war die Nachrichtenlage klar. Die PAD hatte die beiden internationalen Flugplätze nahe Bangkok besetzt. Die Opposition verlangte den Rücktritt der Regierung. Sie wolle solange auf den Flugplätzen sitzen bleiben, bis ihre Forderung erfüllt war. Der Ministerpräsident - wieder nach Thailand zurückgekehrt - lehnte alle Forderungen im Fernsehen ab. Herr P. trank Kaffee, aß ein Spiegelei. Jetzt war es sicher: Er saß in Bangkok fest, wie Tausende, Zehntausende andere. Seltsam, wie ruhig er blieb. Plötzlich war sie wieder da, winkte, lächelte, hatte zwar nichts in Erfahrung gebracht, versprach aber am nächsten Tag wieder zu kommen. „Bleiben Sie in diesem Hotel, damit ich Sie finde. Eines hatte sie dennoch erreicht. Herrn P´s Rückflug war im had quarter registriert worden.

Ein langer Tag, den er so nicht erwartet hatte, lag vor ihm. Er fuhr nach Bangkok. In der Stadt wirbelten Gespräche. Es gab nur ein Thema: die Krise. Und die Frage: Greift das Militär ein? Wird sich der König zu Wort melden? Gerüchte: Es soll vor dem Regierungssitz geschossen worden sein. CNN riet, große Plätze und Menschenansammlungen zu meiden. Was Genaues wussten die auch nicht.

 

Die Stadt dröhnte, stank, schrie, schwitzte. Militär an allen Ecken und auf Plätzen. Er besuchte den liegenden Buddha im Wat Phra Chetuphon, spazierte die Sukhumvit Road entlang, fuhr mit der Skytrain (Hochbahn) zum Siam Square. Die Händler auf dem schmalen Bürgersteig der Sukhumvit boten allen erdenklichen Ramsch an. Und gegen Abend erschienen Transvestiten und Scharen von Mädchen in der Nähe des Hotels Nana. Die Mädchen lockten mit „short time“. Die Transvestiten ließen ihre dunklen Stimmen tönen. „Mein Schatz, ich verspreche dir Himmel und Hölle.“ Herrn P. stand es weder nach Himmel noch nach Hölle. Er hatte Mühe, einen Taxifahrer zu finden, der sein Hotel fand. Immerhin lag es gut 40 Kilometer außerhalb Bangkoks. Er amtete auf als er anlangte, kaufte sich ein Fläschchen Mekong-Whisky. Der Weinbrand schmeckte grausam, er schüttete Cola dazu. So wurden der Abend und die Ungewissheit erträglich.

 

Auf zum Militärflughafen

 

Sein Engel erschien, strahlte, drückte ihn gar, und Herr P. drückte auch. „Wir fahren zum Navy Port“, sagte sie, „sofort. Sie war in Begleitung einer zweiten Dame. „Heute Nacht soll dort die erste Maschine nach Wien starten. Sie stehen auf der Flugliste.“

 

Der Flugplatz, der für schwere amerikanische Bomber im Vietnamkrieg ausgebaut worden war, lag etwa 160 Kilometer von Bangkok entfernt. Sie winkte einem Taxi.

 

Tausende in der schmalen Flughafenhalle. Hutze. Keine Aircondition, Geschrei, Drängen. Gereizte Ausbrüche. Keine Transportbänder. Tische im Restaurant dienten als Abfertigungsschalter, Laptops ersetzten den Zentralcomputer, ein Schnipsel Papier die Bordkarte. Angespanntes Warten. Und tatsächlich: 1.30 Uhr sollte die Maschine starten. Herzlich Verabschiedung von seinem Engel. Ein paar Dollarscheine wechselten den Besitzer. Die beiden Damen wurden zu neuen Engeln. Sie nahmen drei Personen nach Bangkok mit. Als Herr P. die Maschine berat, erklang der Donauwalzer. Vertraute Klänge. Er wähnte sich fast zu Hause. Herr P. lehnte sich zurück, erschöpft, schloss die Augen, spürte, wie die Anspannung allmählich von ihm abfiel, wie eine überflüssige Haut, freute sich auf H. Das Lächeln des liegenden Buddhas, das er gestern lange geschaut hatte, seine innere Versunkenheit, flogen mit, und ihr Strahlen. “Freuen Sie sich, Sie sind  morgen zu Hause.“

 

Er hatte zwei Tage in Bangkok verloren und viel mehr gewonnen. Was für ein Glück hatte er gehabt.

 

 

Delaus ReiseBlog, ThailandReportagen
// Bangkok, Chinatown.

// Texte und Fotos: Reinhard Delau.